Kosten für Passbeschaffung nicht im Bürgergeld Regelsatz für Ausländer enthalten

Kosten für Passbeschaffung
Muss das Jobcenter die Kosten für die Beschaffung eines Reisepasses eines Ausländers übernehmen?

Sehr viele in Deutschland lebende Ausländer haben einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und beziehen demzufolge Bürgergeld Leistungen.

Für eine Aufenthaltserlaubnis, die wiederum Voraussetzung für den Bürgergeld Anspruch ist, benötigen Sie einen gültigen Reisepass. Die Beschaffung eines Passes ist aber oft mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, die die ausländischen Staatsangehörigen nicht ohne weiteres aus dem Bürgergeld Regelsatz aufbringen können.

Passbeschaffungskosten nicht im Bürgergeld Regelsatz enthalten

Schon vor längerer Zeit hatte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen unter dem Az L 7 AS 1794/15 ein Urteil zur Frage der Übernahme der Passbeschaffungskosten für ausländische Staatsangehörige durch das Jobcenter bzw. Sozialamt erlassen. Aus dem Urteil lassen sich einige grundsätzliche Rechtsaussagen ableiten.

Ob das Urteil rechtskräftig wird, stand lange nicht fest, da die Revision an das Bundessozialgereicht zugelassen ist. Eine Rechtsprechung des höchsten Sozialgerichts zu dieser Rechtsfrage lag zuvor  noch nicht vor.

Folgende Feststellungen trifft das Landessozialgericht:

Nicht im Regelsatz

Die Kosten für einen (deutschen oder ausländischen) Pass sind nicht Teil des Bürgergeld Regelsatzes im SGB II oder SGB XII, da hierin lediglich monatlich 25 Cent für die Beschaffung eines deutschen Personalausweises enthalten sind.

Jobcenter-Darlehen nach § 24 SGB II nicht möglich

Aus diesem Grund ist auch keine Übernahme im Rahmen eines Jobcenter-Darlehens nach § 24 SGB II möglich.

Ursprünglich: Kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II

Die Kosten für die Passbeschaffung fallen schließlich nicht unter die Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs. 6 SGB II. Es handelt sich nicht um einen laufenden, sondern um einen einmaligen Bedarf. Das ist unabhängig davon, dass ein Pass möglicherweise alle paar Jahre neu beantragt werden muss.

Anspruch auf Übernahme der Passebeschaffungskosten nach § 73 SGB XII

Grundlage für  die Übernahme der Passbeschaffungskosten ist damit § 73 SGB XII. Dieser gilt auch für Bürgergeld Bezieher nach SGB II.

Das Landessozialgericht argumentiert wie folgt:

Die Anwendung des § 73 SGB XII für einmalige, atypische Bedarfe ist möglich. Sie setzt vom Gesetzgeber unbewusst nicht erfasste Bedarfssituation voraus.

Nach der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts ist eine wertende Betrachtung anzustellen, bei der soziale, gesellschaftliche und fiskalische Aspekte zu berücksichtigen sind.

Das LSG meint, dass diese besonderen Voraussetzungen für die Passbeschaffungskosten leistungsberechtigter Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft erfüllt sind, soweit sich diese einen (bestimmten) Reisepass beschaffen müssen, um zu vermeiden, dass sie strafrechtlich oder ordnungsbehördlich verfolgt werden.

Im konkreten Fall hatte das LSG dennoch den Anspruch auf Kostenübernahme nach § 73 SGB XII abgelehnt,  weil die zumutbare Möglichkeit gegeben war,  sich einen vorläufigen türkischen Reisepass zu erheblich geringeren Kosten zu beschaffen.

Nunmehr gibt es jedoch eine Neuregelung im SGB II, so dass der Rückgriff auf § 73 SGB XII nicht mehr erforderlich ist.

Neuregelung nach dem Bürgergeldgesetz

Leistungsansprüche nach dem SGB II – Unterstütungsleistungen durch das Jobcenter

Wenn eine Person einen Leistungsanspruch nach dem SGB II hat, gibt es zwei mögliche Gründe für die Gewährung von Beihilfen oder Darlehen. Eine wichtige Änderung hat sich durch die Gesetzesänderung des § 21 Abs. 6 SGB II zum 01.01.2021 ergeben.

Beihilfe als Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II vom Jobcenter

Seit der Gesetzesänderung vom 01.01.2021 muss das Jobcenter bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Beihilfe als Mehrbedarf laut § 21 Abs. 6 SGB II auch für einmalige Bedarfe gewähren. Im Gesetzestext heißt es:

„Leistungsberechtigte haben Anspruch auf einen Mehrbedarf, wenn im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Wenn es sich um einmalige Bedarfe handelt, ist eine weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Ein Bedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und der Bedarf erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.“

Diese Regelung bezieht sich auch auf die Gewährung der Beihilfe zur Beschaffung eines Passes.

In der alten Fassung des Gesetzes war die Gewährung des Mehrbedarfs nur bei einem laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf möglich, der nicht vom Regelsatz gedeckt ist. Passbeschaffungskosten wurden nicht als „laufender Bedarf“ betrachtet.

Der neu verabschiedete Gesetzestext sieht nun eine Möglichkeit für SGB-II-Leistungsberechtigte vor, einen Anspruch auf einmalige Bedarfe zu erheben, wenn diese unabweisbar sind und erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweichen. In solchen Fällen wäre ein Darlehen nicht zumutbar und der Bedarf würde nicht durch Einsparungen an anderer Stelle gedeckt werden können. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Frage, wann ein Darlehen ausnahmsweise nicht zumutbar ist, in der Praxis eine entscheidende Rolle spielen wird. Gleiches gilt für den Fall, dass die Bedarfe von ihrer Art her nicht in die Regelsätze eingeflossen sind. Ein Beispiel hierfür sind überdurchschnittliche Passkosten für ausländische Nationalpässe. Da der Regelsatz in diesem Fall über einen langen Zeitraum gekürzt würde, um das Darlehen zurückzuzahlen, ist es ratsam, den Anspruch auf eine Beihilfe nach § 21 Abs. 6 SGB II vor dem Sozialgericht durchzusetzen. Eine Klage ist kostenlos und erfordert keinen Anwalt. Es ist daher wichtig, die Voraussetzungen für die Beihilfe im Regelfall zu erfüllen, um das Existenzminimum zu sichern.

Darlehen zur Übernahme der Passbeschaffungskosten im Rahmen der Ersatzbeschaffung gem. § 24 Abs. 1 SGB II vom Jobcenter

Im Falle, dass eine Beihilfe als Mehrbedarf zur Deckung der Passbeschaffungskosten nicht genehmigt wird, kann in einer Notsituation auf ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II zurückgegriffen werden. Wenn ein Bedarf im Regelsatz unabweisbar ist, jedoch das Geld dafür nicht angespart werden konnte, muss ein Darlehen gewährt werden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Waschmaschine, die bereits vorhanden war und dann kaputt geht. Das Darlehen wird mit zehn Prozent des maßgeblichen Regelsatzes zurückgezahlt.

Selbst nach Einschätzung des BSG muss zumindest ein Darlehen gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährt werden (siehe auch die Urteile des BSG vom 12.09.2018 (B4 AS 33/17 R) und vom 29.05.2019 (B 8 SO 14/17 R)). Es sollte jedoch beachtet werden, dass durch die Kürzung des Regelsatzes in den Folgemonaten um zehn Prozent das Existenzminimum nicht gesichert ist.

Es ist aus grundsätzlichen und verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht akzeptabel, das Existenzminimum durch die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II zu unterschreiten und den Regelsatz zu kürzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner jüngsten Entscheidung zu den Regelbedarfen deutlich gemacht, dass ein Verweis auf ein Anschaffungsdarlehen nur zulässig ist, wenn die Regelbedarfsleistung ausreichend bemessen ist und genügend Spielräume für Rückzahlungen vorhanden sind. Wenn jedoch die in den Regelbedarfen enthaltenen Beträge zu niedrig sind und nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraums zurückgezahlt werden können – was für die Kosten zur Passbeschaffung ausländischer Staatsangehöriger regelmäßig der Fall ist – darf kein Verweis auf ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II erfolgen. Stattdessen müssen die Jobcenter die Leistungen auf Zuschussbasis gemäß § 21 Abs. 6 SGB II erbringen.

Sollte dennoch ein Darlehen gewährt werden, besteht die Möglichkeit, gemäß § 44 SGB II eine Beantragung des Erlasses der Darlehens-Rückzahlung vorzunehmen, wenn diese „unbillig“ wäre. Dies ist der Fall, da der Bedarf für die Kosten ausländischer Pässe nicht angemessen in die Regelbedarfe eingeflossen ist und somit bei Rückzahlung eine langfristige Unterdeckung des Existenzminimums entstehen würde. Es ist daher wichtig, dass die Jobcenter bei der Gewährung von Leistungen die angemessene Höhe der Regelbedarfe berücksichtigen, um eine langfristige finanzielle Belastung der Betroffenen zu vermeiden.

Fazit: Jobcenter muss Kosten für Passbeschaffung übernehmen

Es bleibt somit festzuhalten, dass in anderen Fällen, in denen nicht die Möglichkeit eines kostenlosen oder günstigeren vorläufigen Reisepasses besteht, die Kosten für die Passbeschaffung durch das Jobcenter zu übernehmen sind, mindestens in dem Umfang, der über dem  Kostenanteil eines deutschen Personalausweises liegt, eventuell auch als Darlehen.

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